Von Macheten, Blasrohren und KopfjägerInnen

Wir waren wie meistens ohne wirklichen Plan nach Kuching, der Hauptstatt des westlichen Teils von malaysisch Borneo, gekommen. Der grobe Plan war, ein paar Tage in einem traditionellen Langhaus zu verbringen und dann vielleicht noch einen oder zwei Nationalparks zu besuchen, je nach Zeitdauer der Tour.

Die Angebote der lokalen Reisebüros hinterliessen uns recht unbefriedigt. Natürlich ist es nicht ganz einfach, unser Wunschkonglomerat zu befriedigen: abseits von den ausgetretenen Touristenpfaden, nicht allzu teuer und so aufgebaut, dass man nicht das Gefühl hat Teil einer Zirkusshow zu sein. Erfahrungsgemäss ist dies nicht leicht zu erfüllen, und die meisten Angebote versagen dabei völlig.

Nicht so Danny: wir haben ihn über ein Lonely Planet Forum aufgetrieben, und er klingt nach dem etwas schrägen Ein-Mann-Guide-Unternehmen das wir suchen. Nach einem Mittagessen und einem überraschenden Trinkgelage am selben Abend sind wir recht zuversichtlich, buchen für den übernächsten Tag eine dreitägige Tour und freuen uns auf – was auch immer. So richtig wissen wir ja nicht was uns erwartet, aber es wird schon passen.

Der Start der Tour lässt unsere Eurphorie dann deutlich sinken. Danny taucht mit einer sehr mässigen Ausrede eineinhalb Stunden zu spät auf, war davor nicht erreichbar und wirkt, als hätte er einen massiven Kater vom Vortag.Nur: Zuverlässigkeit steht ziemlich weit oben auf der Wunschliste, wenn man irgendwo im Dschungel und sechs Stunden Auto- und eine Stunde Bootsfahrt vom nächsten Ort entfernt ist, den man namentlich benennen kann. Wir steigen trotzdem ein, und nach einer scheinbar ewigen Autofahrt mit einer einzigen, schon beim ersten Mal anhören mässigen, CD auf Endlosschleife kommen wir beim Anlegeplatz an. Dort begrüssen uns ein paar Iban gleichgültig und mit einem Hauch von muss-das-wirklich-sein und uns in ein schmales, offenes Flussboot verfrachten. Das Wetter ist angemessen: windig, kalt und regnerisch, und als wir eine gefühlte Ewigkeit später völlig durchnässt an unserem Ziel ankommen, ist der Anblick wenig vielversprechend: hinter einigen halb im rotbraunen Schlamm versunkenen Booten ducken sich ein paar armselige Bretterhütten an einen Hügel. Mittlerweile sind wir ziemlich davon überzeugt, mit dieser Tour einen Fehlgriff getan zu haben.
Wenig vielversprechend: Ankunft nach sieben Stunden Anfahrtszeit.


Ohne der Geschichte zu sehr vorgreifen zu wollen: wir haben ihm Unrecht getan. Nachdem wir uns den Hügel hinauf durch den Schlamm gekämpft haben und bei den ersten Hütten vorbeigehen, wird die Stimmung deutlich herzlicher. Danny wird mit viel Umarmungen, Schultergeklopfe und allerlei sehr männlichen Begrüssungsritualen willkommen geheissen, und auch wir werden nun mit freundlichen und neugierigen Blicken bedacht.
So sieht ein Langhaus von außen aus.


Fünfzig Höhenmeter später stehen wir dann auch vor einem Langhaus. Ein Langhaus sieht in etwa so aus wie es der Name erwarten lässt: ein – no na - langes Haus, das je nach Anzahl der darin wohnenden Familien schon mal 100m und mehr messen kann. Wegen der Regenzeit auf Stäbe aus Eisenholz gebaut, unterteilt es sich in zwei wesentliche Bereiche. Etwa die Hälfte der Fläche wird von den „Einzimmerwohnungen“ der Familien beansprucht, der andere Teil ist ein einziger grosses Wohnzimmer für den gesamten Stamm, und hier spielt sich das Leben ab. Hier knüpfen die Fischer ihre Netze, während daneben Bambusmatten geflochten und Macheten geschliffen werden. Kinder laufen johlend durch die Gegend und springen über die vielen Hunde, die in den spärlichen Flecken Sonnenlichts dösen, das durch die Spalten der Bretter scheint. Ein wenig weiter hinten sind einige Männer und Frauen von der Feldarbeit zurückgekehrt und haben es sich mit einer Kleinigkeit zu essen und einer Flasche Selbstgebranntem bequem gemacht.

Kurz darauf sitzen wir bei der letztgenannten Gruppe und haben alle Hände voll damit zu tun, nicht zu viel Schnaps zu trinken zu bekommen. In einer vergleichbaren hauseigenen Destillierie wie in Westtimor gebraut, ist der zwar nicht allzu schmackhaft, scheint aber auch nicht gefährlich zu sein. Immerhin trinken die Iban viel und gerne, und auch die Älteren unter Ihnen sehen scheinbar noch gut, also was soll schon passieren. Wir reden nicht allzu viel mit den Iban – Konversation ist schwierig und wir wollen Danny nicht immer übersetzen lassen, zumal er sich scheinbar auch nicht dazu verpflichtet fühlt, aber die Stimmung ist sehr entspannt und angenehm.

Als wir ein paar Stunden später Abendessen serviert bekommen, gesellen sich die meisten der Nachmittagsrunde zu uns, ein paar neugierige Kinder kommen dazu, und im Nu haben sich knapp 15 Menschen in einer Sitzrunde um uns versammelt und essen mit. Nach dem Essen kommen unsere Gastgeber dann auf die Idee, uns in traditionelle Klamotten zu stecken und mal zu testen, wie das so an uns aussieht. Eine nicht ganz unaufwändige Ankleideprozedur später sind die Iban mit dem Ergebnis hochzufrieden – ich sähe sehr „Macho“ aus, und auch Raphaela gäbe eine gute Kriegerbraut ab, so der einhellige Tenor jener, die es wissen müssen.

Danach folgt draussen eine Art offizielle Willkommenszeremonie – ein paar höherrangige Mitglieder des Stammes haben sich ebenfalls in Schale geworfen und führen traditionelle Tänze vor, wir werden in unserem neuen Outfit präsentiert, und unsere mitgebrachten Geschenke werden verteilt.

Danny hat fleissig eingekauft und grosse Mengen von Suessigkeiten aller Art mitgebracht, die zwei älteren Mädchen in etwa 30 Stapel aufgeteilt werden – einen für jede Familie. Dabei gehen sie sehr sorgfältig vor: wir hatten ein paar dieser Kaugummidosen à 40 Stück beigesteuert, die allesamt geöffnet, ausgeleert und dann Dragee für Dragee aufgeteilt werden.

Als die Beiden fertig sind, fallen alle über die Mitbringsel her – Kinder wie Erwachsene gleichermassen. Ein alter Fischer, der immer neben uns sitzt, kaut mit leicht verträumten Blick je zwei Minuten auf einem Kaugummi herum, bevor er ihn aus dem Mund nimmt, neben sich legt und den Nächsten zu kauen beginnt. Als er alle aufgegessen hat, wendet er sich wieder seinem Schnapsglas zu.

Irgendwann zerstreut sich die Gruppe, und wir ziehen uns zufrieden in unser Zimmer zurück. Ein langer Tag, der mässig begonnen hatte, war wirklich spannend geworden. Kein schlechter Anfang.

Am Morgen des nächsten Tages helfen wir auf dem Reisfeld, und es ist wahrlich Schwerstarbeit. Der Hang hat eine Neigung von zumindest 40%, und für jede einzelne zukünftige Pflanze muss – nach der rituellen Schlachtung eines Huhns vor Saatbeginn - zuerst mit einem schweren Eisenholzstab ein Loch gebohrt und dieses dann mit einigen Reissamen befüllt werden. So geht es Loch für Loch, Meter für Meter, Stunde um Stunde bis zum Sonnenuntergang, von einigen Schnapspausen abgesehen.

Feldarbeit ist aber nicht unser eigentliches Ziel an diesem Tag: nach etwa einer Stunde machen wir uns auf den Weg, Danny will uns einen hiesigen Wasserfall zeigen und ausserdem wird es auf dem Weg ein Picknick geben. Nach knapp zwei Stunden durch Flüsse und Pfade kommen wir an eine Flussbank, die genügend Platz zum Rasten bietet. Unterwegs haben unsere Begleiter (eine der Familien ist mitgekommen) eine Menge kleiner Fische gefangen und schwärmen nun auf, um in der Umgebung nach verschiedenen essbaren Pflanzen und Bananenblättern zu suchen, die sich noch als sehr wichtig erweisen werden. Zudem haben sie ein Huhn und Reis mitgebracht, das nun alles gekocht werden soll. Wenn man es richtig macht, muss man hierzulande keine Töpfe mitschleppen: Bambusstücke sind, richtig abgeschnitten, so dicht wie ein Kochtopf und eignen sich hervorragend als 100% abbaubares Kochgeschirr. Beispielsweise füllt man Reis in Taschen aus Bananenblättern, stopft sie dann in den Bambus, füllt den Rest mit Wasser auf und stellt das ganze ins offene Feuer. Und, voilà, fünfzehn Minuten später hat man perfekt gegarten Reis mit leichtem Bambusaroma. In gleicher Manier verfährt man mit den Hühnerstücken, den gefangene Fischchen oder einfach nur dem Teewasser. Die übrigen Bananenblätter geben dann auch praktische, kompostierbare Teller ab.

Nach dem Essen machen wir uns auf den Weg zum Wasserfall (merke: lokale Wasserfälle sind nie atemberaubend, aber meistens nett), haben noch ein kurzes Intermezzo mit einem Blutegel und kehren schliesslich am späten Nachmittag ins Langhaus zurück.

Wir waren schon am Vortag willkommen, aber natürlich war die Willkommenszeremonie und die traditionelle Kleidung sozusagen no na ned part of the game (wie man in einem südlichern Bundesland sagen würde). Heute ist die Stimmung nochmal deutlich herzlicher – vielleicht ist es das Fest am Vortag, vielleicht unsere Hilfe am Feld, vermutlich ein wenig von allem: die Iban mögen uns jetzt. Wir werden in allerlei Aktivitäten eingebunden, bekommen die Chance mal mit einem Blasrohr zu schiessen (und besiegen einen Iban dabei, der ziemlich unzufrieden seinen Verliererschnaps trinken muss), Raphi bekommt eine Nachhilfestunde in Bambusmattenknüpfen und beim Abendessen haben sich sicher 30 Leute um uns versammelt.

Im Anschluss organisiert sich draussen ein deutlich informelleres und herzlicheres Fest als jenes am Vortag, das in der Folge ein wenig eskalieren sollte. Eilig werden Bambusmatten herangeschafft, und weil ohnehin gerade der Generator läuft (auch hier gibt es nur nach Einbruch der Dunkelheit Strom), wird auch eine Stereoanlage aufgebaut. Wir reden hier wohlgemerkt von keinem Soundsystem, das hier ist noch eine Vollplastikstereoanlage aus den späten 80ern. Bald ist die Hälfte des Stammes am Tanzen und die andere Hälfte hat sich in mehr oder minder grossen Grüppchen um die eine oder andere Schnapsflasche gruppieren.

Danach wird alles etwas verschwommen, und wie das alles wann geendet hat, können wir nicht mehr wirklich nachvollziehen. Wir hatten auch noch ein paar Flaschen gesponsert, soviel wissen wir noch, und unser Guide Danny lag irgendwann in alkoholinduziertem Schlummer in der Mitte einer Matte, und war dabei beileibe nicht der einzige. Eines ist jedoch gewiss: hätten wir den Wagon in der Transsibierischen mit Iban anstatt mit Russen geteilt, hätten wir spätestens in Novosibirsk w.o. gegeben.

Als wir nach einer herzlichen Verabschiedung am nächsten Tag wieder ins Boot und dann ins Auto steigen, lassen wir uns zufrieden lächelnd in den Polster sinken. Wieder mal hatten wir ein goldrichtiges Händchen bei der Auswahl und grossartig Surreales erlebt, und hätten in der zur Verfügung stehenden Zeit kaum mehr erreichen können.

Ein perfekter Abschluss für unseren Borneausflug, der ja auch gleichzeitig der letzte "wilde" Teil unserer Reise war. Auch wenn er am nächsten Tag wieder auf uns vergessen und wir dann mit dem Taxi zum Flughafen fuhren - danky, Danny. War große Klasse!

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