Menschen des Waldes, nach Marzipan riechende Tausendfüßler, und anderes Getier

Natürlich war der Night Market in Kota Kinabalu nicht unser eigentliches Ziel in Borneo. Borneo, das verheißt primäre Urwälder, Orang Utans, Nasenaffen, Nashornvögel und ziemlich sicher auch viel zu viele Moskitos.

Abgesehen von solchen zoologischen Sehenswürdigkeiten war die Insel noch Mitte des 19. Jahrhunderts als Kopfjägerinsel bekannt, bis die eher kuriose Herrschaft eines Abenteurers namens James Brooke diesem Brauch ein Ende machte. Dies bedeutete für den Handel auf Borneo einen deutlichen Schritt nach vorne - immerhin musste an als Händer nun nicht mehr befürchten, dass der eigene Kopf Haupt-Bestandteil (haha) der Handelsmasse werden würde.

Die Tradition des Kopfjagens erfreute sich übrigens Mitte des 20. Jahrhunderts nochmals einer kurzen und unerwarteten Renaissance, als die Japaner die Insel besetzten und von den Engländern der Aufruf erschallte, man möge doch die alten Köpfen im Keller durch ein paar neuere aus Nippon ergänzen. Aber ich greife vor, auf die Suche nach den Iban begeben wir uns ja erst in einer Woche.

Zunächst mal hatten wir Uncle Tan's gefunden, gleichzeitig Unterkunft und Ausgangsort für dreitägige Expeditionen in Uncle Tan's Wildlife Camp, welches man von Sepilog aus in gut zwei Stunden Auto und einer Stunde Bootsfahrt erreichen kann. Diese Bootsfahrt ist dankenswerterweise aber auf einem sehr, sehr ruhigen Fluss und birgt keinerlei Erinnerungen an Indonesien.

Für uns war das Wildlife Camp ein guter Kompromiss, da wir die Idee eines Luxushotels im Dschungel - wie zum Beispiel die Borneo Rainforest Lodge - für grob deplatziert hielten. Aus Zeit- und Ausrüstungsgründen war es uns vielleicht nicht möglich gewesen, ein vernünftiges[1] Dschungeltrekking im Maliau Becken durchzuführen, aber dann sollte es doch zumindest ein wenig unbequem sein.

Und so hatten wir es dann ja auch. Nach einer Stunde am Fluss kamen wir in ein kleines, erstaunlich gut gepflegtes, minimalistisches Camp im Urwald. O-Ton auf der Homepage von Uncle Tan: “We might have moved up-river, but not up-market!”.

Das Camp ist ganz auf Holzstegen aufgebaut, da der Boden in der Regenzeit schon mal einen halben Meter unter Wasser steht. Darauf stehen dann ein halbes dutzend offene Hütten mit immer leicht feuchten Matratzen unter den Insektennetzen und einer kleinen Plastiktonne für Gepäck davor (die Ratten würden sich auf der Suche nach Lebensmitteln durch die Rucksäcke fressen). Folgt man dem Steg für ein paar Minuten, kommt man zu einem Holzverschlag mit drei Toiletten, vor dem ein paar Regenwassertonnen mit Schöpfkellen zwecks Klospülung stehen. Diese Kellen sind im übrigen gleichzeitig auch das, was einer Dusche hier am Nächsten kommt.

Abgesehen vom eher reduzierten Stil haben es sich das halbe dutzend junge Guides und Mitarbeiter hier sehr gemütlich gemacht. Es gibt ungezählte Hängematten, ein kleines Feld für eine Fußballvariante namens Shaolin Soccer, ein Badmingtonnetz mit Schlägern, sowie eine kleine Bar, für die alle paar Tage ein großer Eisblock über den Fluss herangeschafft wird. Nach Einbruch der Dunkelheit gibt es dann auch für ein paar Stunden Strom, bis zu Mitternacht der Generator abgeschälten wird.
Holzstege in Uncle Tans, Gäste inbegriffen

Nach unserer Ankunft bekommen wir eine Einweisung und ein - vor allem im Anbetracht dessen, wo wir sind - ausgezeichnetes Abendessen. Während des Essens sammelt sich die Belegschaft an einem der anderen Tische, versorgt sich sich ein paar Bier und Gitarren und beginnt - gar nicht mal so falsch - Tonight zu singen. Bekanntermaßen nicht das einfachste Lied für sonore Stimmlagen, und wir werden den Refrain in den nächsten Tagen sehr, sehr oft hören, und niemals ohne Grinsen im Gesicht.


Man kann gar nicht anders als sich hier rundum wohl zu fühlen.. Die Guides hier sind routiniert und haben trotzdem eine fast kindliche Begeisterung dabei, Tiere aufzustöbern und sie uns zu zeigen. Die Begeisterung ist so ansteckend, dass wir uns über jede Entdeckung mitfreuen. Ich glaube, bei anderen Guides hätten wir einige der Tiere als 'hmhm' abgetan, aber hier ist jede Entdeckung spektakulär.

Ohnehin haben wir bei unserem Aufenthalt außergewöhnliches Glück mit den Tiersichtungen. Wir sehen beeindruckende zwei mal einen Orang Utan. Schon eine Sichtung ist ein Glücksfall und beileibe keine Selbstverständlichkeit, und beim zweiten Mal haben wir es besonders gut erwischt: keine zwanzig Meter über uns schwingt sich ein hundert Kilo Brocken durch das Geäst über unserem Lager, beschimpft uns lebhaft und wirft - nicht allzu treffsicher - morsche Äste nach uns. Ein Orang Utan im Camp ist ein so seltenes Ereignis, dass der Chefguide Andy später richtig sauer ist weil ihn niemand geweckt hat. Ein andermal erkennen wir sogar eine Borneo-Goldkatze im Gebüsch - abgesehen von Elefanten das seltenste Tier vor Ort.
Orang über dem Camp
Die Borneo-Goldkatze. Etwas versteckt, dafür aber selten.

Dazwischen sind bei den Tag- und Nachtwanderungen zu Wasser und zu Lande jede Menge bunte Vögel, Makakken, einen Haufen Nasenaffen, erstaunlich getarnte Frösche, tausende Flughunde, handzahme Skorpione und einige weiße Tierchen, die von Weitem wie Baumwolle aussehen, unsere Belohnung dafür, uns vor dem Morgengrauen und nach Einbruch der Nacht auf den Weg gemacht zu haben.

Auf jedem Weg von der Bar in unsere Hütte und retour können wir außerdem beobachten, wie eine gut zehn Zentimeter grosse Spinne frühmorgentlich ihr Netz spinnt und sich am Nachmittag dann ausgesaugte Insekten am Boden davor sammeln.
Grosse Spinne, kleines Opfer

Zudem haben wir gelernt, dass einige Tausendfüßer wir Marzipan riechen.
Sieht aus wie eine Panzerkette, und riecht lecker. Nicht für mich, aber für Leute, die Marzipan mögen.

Und all das in drei Tagen? Nun, in einem normalen Urwald könnte man keine solch hohe Dichte an Wildtieren erwarten. Der Grund dafür liegt ironischerweise im recht radikalen Umgang Malaysiens mit seinen natürlichen Ressourcen begründet. Nachdem tausende Quadratkilometer primärer Urwald abgeholzt und durch endlose Palmölplantagen ersetzt wurde, bedecken diese mittlerweile einen Großteil Sabahs, also des Nordosten Borneos. Da die Palmwälder für alle indigenen Tiere lebensfeindlich sind, haben diese sich in den schmalen Streifen Naturschutzgebietes am Rand des Kinabatangan gedrängt.

Auf tragikkomische Art müssten wir der Palmölindustrie also fast dankbar für die vielen grossartigen Motive sein, die uns dort vor die Objektive gelaufen sind.


[1] zugegeben, was an einem fünftägigen Dschungletrekking mit zumindest 10 ständiger an und abreise über nur mit Allrad befahrbare “Strassen” vernünftig sein soll, ist natürlich eine andere Frage.

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