Im Reich der Clans

Manche Tage beginnen sehr mäßig, und werden dann ganz wunderbar. Unser zweiter Tag in Bajawar, einem kleinen Ort irgendwo im mittleren Westen Flores', war so einer.

Morgentlicher Blick aus dem Hotel. So ein Vulkan kann schon was.
Wir hatten dort übernachtet, weil 10 Stunden Busfahrt durch ein gleichermaßen unglaublich pittoreskes wie kurviges Bergland für einen Tag mehr als genug sind. Und, weil es dort die besterhaltensten indigenen Dörfer der Insel zusehen geben soll, wenn es einem gelingt, dorthin zu kommen.

typische Busszene auf Flores.
Eigentlich ist Bajawar keine 30 Flugminuten von Labuanbajo entfernt, die Fahrtzeit ergibt sich aus zweierlei Tatsachen: erstens gibt es wohl keine 100m durchgehend gerade oder auch nur flache Straße auf dieser Insel, und zweitens hat unser Gefährt mit seinen bescheidenen 120 Pferden schwer zu kämpfen. Kein Wunder, sind doch in Hochzeiten knapp drei Dutzend Leute in diesem schätzungsweise mit 16 Plätzen versehenen Bus zu transportieren, die es sich nicht nur auf den Sitzen, sondern auch aufeinander, auf den mitgebrachten Reisesäcken und, wenn nötig, auch mal am vollgepackten Dach mehr oder weniger bequem machen.

Nun gut, dachten wir uns, nehmen wir uns also zum ersten Mal auf dieser Reise einen Guide.

Wir waren also - ohnehin übermüdet und ziemlich erschlagen - früh aufgestanden, nur um eine Stunde auf unseren Guide Florian zu warten. Vergebens, denn nach einer Stunde rufen wir an und es stellt sich heraus, das er krank geworden ist.

Inzwischen ist es relativ spät, und die meisten Guides verschwunden. Nur einen finden wir noch, und der ist ziemlich unsympathisch, sodass wir beschließen es auf eigene Faust zu versuchen. Nicht ganz einfach. Wir haben keinen internationalen Führerschein, und wirkliche Bemos gibt es dorthin nicht.

Dann spricht uns Jeremy an: *Hello, Transport?*. Nein, sagen wir, wir wären auf der Suche nach einen Guide. Kein Problem, versichert er uns, eigentlich sei er ja eh einer, er könne ein Auto besorgen, nur 10 Minuten, ginge ganz schnell, und uns Dörfer und Berge und Pflanzen und heiße Quellen zeigen.

Das mit dem Guide glauben wir ihm zwar nicht, aber zumindest ist er sympathisch. Und da wir auch nicht eben viel Auswahl haben, handeln wir ihn der Form halber um hunderttausend Rupien herunter (knapp 10 Euro, als ob das einen Unterschied machen würde) und nach einer knappen halben Stunde - eher als erwartet - geht es dann wirklich los.

Wir haben einen ziemlichen Glücksgriff getan. Jeremy kann zwar nicht besonders gut Englisch, kennt sich aber gut in den lokalen Bräuchen aus und zeigt uns zuerst ein Dorf, dass nicht auf der Standardbesichtigungsliste stehen. Hierher kommen nur eine Handvoll Touristen pro Woche (wie am Gästebuch ersichtlich), und die Leute sind, wie Raphi das sagen würde, sehr plaudrig.

zur Trocknung ausgelegte Kaffeebohnen

Raphi: vergleichsweise groß

Ein alter Mann fragt uns nach unserer Herkunft - Austria - dann nickt er wissend und verschwindet kurz in seiner Hütte. Als er zurückkommt, hält er eine handgezeichnete Karte Europas in Händen, die ihm vor ein paar Monaten ein Salzburger namens Gerold Müller gezeichnet hat. Wie cool.

handgezeichnete Europakarte. Sehr cool.

Auch sonst kennt Jeremy jeden in der Gegend. Wir treffen seinen Cousin samt Familie, nehmen ein zwei Schulmädchen ein paar Kilometer weit mit (die die ganze Zeit kichernd auf den hinteren Sitzen verbringen), treffen zufällig eine Gruppe angehender Lehrer aus Ende (und stehen für Dutzende Gruppenfotos bereit), klettern in luftige Höhen um die Gewinnung des Saftes für Palmwein zu bewundern (schmeckt ungewöhnlich, aber nicht schlecht), fahren auf der Ladefläche eines umgebauten Lastwagens mit (nicht bequem, aber praktisch), werden völlig überraschend in einem der Dörfer im vorbeigehen auf Snack und Schnaps eingeladen (Maniok mit Kokosstreuseln, irgendein scharfes Minzgewächs und Arak) und, für Raphi fast das größte an diesem Tag, begegnen fast jeder existierenden essbaren Tropenpflanze ([1]).

wagemutige Palmsirupgewinnung

so muss Bambus aussehen, liebe Schwester.

Enkel entlaust Oma

hier passen jede Menge Leute rein.


Sehr fein ist - unerwarteterweise - auch die heiße Quelle. Ein irreführender Name. In der Tat sind es zwei Bäche, einer fast kochend heiß und der andere eiskalt, die ein paar Meter oberhalb der Badestrände zusammenfließen und ein großartig abwechslungsreiches Potpourri aus kalten und warmen Strömungen zaubern.

besagte Quelle

Oakley Modell Flores

Am Ende des Tages muss Jeremy uns beinahe überreden, uns noch ein Dorf zu zeigen. Übersättigt von den Eindrücken des Tages lehnen wir fast schon ab, stimmen dann aber doch zu weil er so begeistert ist. Eine Viertelstunde später stehen wir vor einer 30m hohen Felswand neben dem Sportplatz einer Schule eines ganz und gar nicht indigenen Dorfes, und fragen uns ernsthaft was wir hier sollen. Erst wenige Meter vor der Wand sieht man, dass eine unregelmäßige, dafür aber steile Treppe in den Stein geschlagen ist.

Nach ein paar dutzend Höhenmeter stehen wir in einem winzigen Dorf, nicht mehr als sieben oder acht Häusern und knapp 20 Bewohnern. Keine 50 Meter Luftlinie von dort gibt es asphaltierte Straßen und Coca Cola, doch das hier hat - abgesehen von den T-Shirts - auch vor 200 Jahren genauso ausgesehen.

Ja, das ist das ganze Dorf.

Wie absurd.
Wie wunderbar, wunderbar absurd.

[1] wir sehen die Vanilleorchidee, essen Makadamianüsse direkt vom Baum, kratzen Rinde vom Zimtbaum, pflücken frische Nelkenknospen und lassen sie in unserer Hosentasche trocknen, hmmmmm, die grüne Pfefferplanze, den Limettenbaum, Ananaspalmen, Mangobäume, Avocadobäume, kosten frisch gepflückte Kaffeebohnen und lernen: die sind zuckersüss, knabbern an frischem Ingwer (noch in der Erde), und auch Cashewnüsse und Beetelnüsse und und und.

Kaffeebohnen, Guave, Kakaobohne, Baumwolle (v.l.o.n.r.u)

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